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Thesen zur Sinnfrage
(- nach: "Der Sinn des Lebens", dtv (4) 2002.
 
1. Sinn und analytische Philosophie
 
2.  J. M. Bochénski: Der Havelismus als Mangel an unbedingtem Glück - Verachtet nicht die kleinen, vergänglichen Augenblicke des Genießens!
 
3.  R. Nozick: Das Sinnproblem entsteht durch Grenzen - Das Unbegrenzte als Endpunkt aller Fragen
 
4.  G. Anders: Das Gefühl der Sinnlosigkeit als Symptom für seelische Gesundheit - "Sinn haben für" bedeutet heteronom sein, unfrei sein.
 
5.  V. E. Frankl: Es gibt keine Lebenssituation, die wirklich sinnlos wäre - Alle negativen Seiten der menschlichen Existenz lassen Raum für Positives.
 
6.  J. O'Donohue: Die Zugehörigkeit schützt uns vor der inneren Unendlichkeit, die jeder in sich trägt.
 
7.  Maurice Sendak: Kann es "im Leben mehr als alles geben"?
 
8.  Das Glück der Absichtslosigkeit (Leben ohne Warum, ohne Zwecke)
 
9.  Der Glaube ist die Erkenntnis des Sinns des Lebens (Tolstoi)
 
10 Leitfaden für die Interpretation
 
Zu 1. Sinn und analytische Philosophie
 
Unsere Überlegungen knüpfen an einen Vortrag von Prof. Hans Rott an zum Thema "Überlegungen zum Sinn des Lebens" - aus der Sicht der analytischen Philosophie. Er kam dabei zu demselben Ergebnis wie bei einem Seminar, das er zu demselben Thema gehalten hatte: eine Verständigung darüber, dass zwei Lebensstile abgelehnt werden oder werden sollten, der des Couch-Potatos und des aktivistischen Managers.
Das philosophische Fazit des Vortrags von Prof. Rott wurde mit einem Zitat von Alfred Jules Ayer ausgedrückt: Es gibt auf die Sinnfrage keine echte Antwort. Die Sinnfrage gehört in den Bereich der persönlichen Entscheidung und letztlich des Handelns.
Dieses dürftige Ergebnis ergibt sich aus den Vorgaben der analytische Philosophie, die nach Allgemeingültigkeit strebt. Aber selbst diese Minimal-Übereinstimmung (Ablehnung der beiden Lebensstile) konnte in der Diskussion mit den anwesenden Studenten nicht gehalten werden.
 
Damit war eigentlich die Aufgabe des Philosophen Prof. Rott erledigt. Aber um die Leute nicht mit diesem mageren Ergebnis nach Hause zu schicken, folgte noch noch ein literarischer Beitrag zu dem Thema: Ein Auszug aus dem Werk von Tolstoi "Meine Beichte". Mit den Kernaussagen dieses Textes werden wir uns später beschäftigen.
 
Aber längst nicht alle Kollegen von Prof. Rott im Bereich der analytischen Philosophie überlassen die Sinnfrage dem (angeblich) rational nicht mehr zugänglichen Handeln.
 
Im Folgenden werden wir uns mit den Positionen von drei Autoren (Bochènski, Nozick und Anders) näher befassen.
 
Vorbemerkungen zum Begriff "Sinn":
Das Wort "Sinn" ist primär dem Verstehen zugeordnet. Dabei geht um den Sinn und das Verstehen von Worten, Texten, Bildern usw.
Das Wort "Zweck", das häufig in der gleichen Bedeutung wie das Wort "Sinn" verwendet wird, bedeutet eher eine sachliche Hinordnung auf etwas.
Wenn wir den Bedeutungsgehalt der beiden Begriffe zusammennehmen, dann ergibt sich als Kernbedeutung "Einordnung von etwas auf einen größeren Zusammenhang hin" oder das "Erkennen und Verstehen der passenden Funktion von etwas".
 
Beispiel: Jemand klingelt an der Tür, obwohl er weiß, dass niemand zu Hause ist.
Das Klingeln ist, sofern es den Zweck hat, jemanden auf sich aufmerksam zu machen, sinnlos! --- andere Zwecke, Sinn?
 
Wichtig ist die Unterscheidung des begrenzten Sinn von etwas innerhalb eines überschaubaren Zusammenhangs und die Vorstellung von einem Gesamtsinn.
 
 
 
Zu 2. J. M. Bochénski: Der Havelismus als Mangel an unbedingtem Glück - Verachtet nicht die kleinen, vergänglichen Augenblicke des Genießens!
 
Das Leben eines Menschen hat dann einen Sinn, wenn er in diesem Augenblick entweder ein Ziel anstrebt oder diesen Augenblick genießt.
Das Leben der meisten Menschen hat in der Mehrheit der Augenblicke einen Sinn. 
Und das bedeutet, dass der Havelismus (Havel havelim hakol havel: Eitelkeit, Eitel-keit, und alles ist Eitelkeit) falsch ist. (Buch Kohelet - neuere Übersetzung: Windhauch)
Begriff des Lebenssinnes muss von dem des Glückes unterschieden werden.
 
Dazu hat das Wort "Glück" zwei verschiedene Bedeutungen.  Einerseits bezeichnet es den Zustand einer sozusagen hundertprozentigen Zufriedenheit, der vollen Befriedigung aller Bedürfnisse - und zwar mit der Gewähr einer ewigen Dauer: Glückseligkeit.  Es ist nicht schwer zu begreifen, dass ein so verstandenes Glück ein Grenzbegriff ist, ein Ideal, das wir im irdischen Leben nie erreichen können.  Es ist das unbedingte Glück.
Wir gebrauchen aber das Wort "Glück" in einem zweiten Sinne, als relatives Glück.
Und diese Art von Glück kann im Leben verwirklicht werden und ist, im Leben manches Menschen tatsächlich verwirklicht.
 
Der Havelismus nennt den Mangel an unbedingtem Glück "Eitelkeit" nennt.  Dann bedeutet das, dass alles, was keine hundertprozentige Befriedigung mit sich bringt, eitel ist.  Dass auch in den Augenblicken des größten Glückes dem Menschen irgendetwas noch fehlt, ist schon wahr.  Das hat einer der größten Denker unseres Kulturkreises, der heilige Augustinus von Hippo, schön gesagt: "Unser Herz ist unruhig, bis es ruht in dir" - d. h., bis es das Absolute erreicht hat, denn nur sein Besitz kann ein unbedingtes Glück verschaffen.
Aber das Wort "Eitelkeit", suggeriert noch etwas Weiteres: dass man sich nämlich um Dinge, die nicht das Absolute sind, nicht kümmern und sie auch nicht benützen soll, dass es keinen Sinn hat, einen vergänglichen Augenblick zu genießen.  Und gerade das ist, so scheint mir, eine kolossale und boshafte Dummheit, eine Dummheit, weil niemand nach dieser Vorschrift leben kann.  Eine boshafte Dummheit, weil einer, der trotz allem dieses Leben anstreben sollte, sich damit all dessen berauben würde, was unter Umständen dem Leben seine Schönheit und seinen Wert verleiht.
 
Hier irrt aber Bochénski, jedenfalls sofern er sich auf das Buch Kohelet beruft. Dort lesen wir u.a. in Kap. 9: "Genieße das Leben mit deiner Frau, die du lieb hast, alle Tage deines Lebens voll Windhauch ("eitel"), das dir Gott unter der Sonne gegeben hat. ... Alles, was dir vor die Hände kommt, es zu tun mit deiner Kraft, das tu."
Für Bochénski ist nur eines wesentlich: dass sowohl der Havelismus als Verurteilung des relativen Glückes als auch - was damit zusammenhängt - die Auffassung, das Leben sei eine einzige Reihe von Bestrebungen, die nur ein einziges, außerweltliches Ziel haben, falsch sind.  Der wichtigste Schluss, den er aus diesen Erwägungen zieht, lautet: Wir sollen kleine und vergängliche Augenblicke des Genießens nicht verachten.
Den Sinn kann man also nach Bochénski nicht nur im Streben, sondern auch, und zwar in hohem Grad, im Genießen des Augenblicks finden.
 
Zu 3.  R. Nozick: Das Sinnproblem entsteht durch Grenzen - Das Unbegrenzte als Endpunkt aller Fragen
 
 
Lässt sich die Frage nach dem Lebenssinn überhaupt mit einem Satz zufrieden stellend beantworten? - Bemühungen, im Leben Sinn zu finden, zielen darauf ab, die Grenzen eines individuellen Lebens zu überschreiten. Je enger die Grenzen eines Lebens, umso sinnloser ist es.
"Aber auf was läuft ein solches Leben  hinaus?  Welchen Sinn hat es?", wollen wir wissen.  Damit nämlich ein Leben einen Sinn hat, muss es mit anderen Dingen und Werten verknüpft sein, die nicht alle in dem Leben selbst stecken dürfen.  Anscheinend liegt es an solchen Verknüpfungen, dass etwas, und zwar nicht nur das Leben, Sinn hat. 
Die Wendung "der Sinn, den eine Person ihrem Leben gibt", bezieht sich auf die Mittel und Wege, die sie wählt, um über ihre Grenzen hinauszugelangen: das besondere Bündel äußerer Verknüpfungen, das sie für ihr Leben gewählt hat.
Sterblichkeit ist eine zeitliche Grenze, und in seinem Leben Spuren zu hinterlassen ist eine Möglichkeit, über diese Grenze hinauszugehen.  - Das Sinnproblem entsteht durch Grenzen, durch das Gefühl, nur dies oder bloß das zu sein.
Das Sinnproblem entsteht durch Grenzen.  Wir versuchen, es zu vertreiben, indem wir, im Kleinen oder im Großen, diese Grenzen transzendieren.  Doch egal, wie weit wir über uns hinaus in neue Gebiete vordringen: Auch diese sind begrenzt - und das alte Problem stellt sich von neuem.  Es sieht so aus, als könnte das Problem nur durch etwas Grenzenloses vermieden oder transzendiert werden, zu dem es, selbst in der Vorstellung, keinen äußeren Standpunkt mehr gäbe.
  Das Unbegrenzte ist jener Punkt, an dem alle Fragen nach Sinn ein Ende finden. Das befriedigende Resultat läge dann vor, wenn das Unbegrenzte das Ende aller Fragen nach Sinn bedeutet, und zwar nicht, weil die Frage nach dem Sinn des Unbegrenzten nicht gestellt werden kann, sondern weil das Unbegrenzte sein eigener Sinn ist. 
   Wie wichtig ist mein Leben für die Menschheit?  Wie wichtig ist das irdische Leben für das gesamte Leben in unserer Galaxie oder im Universum?  Und so kann man weiterfragen. Aber: Was ist so wichtig an der Gesamtheit aller existierenden Dinge? 
Diese Frage hat keinen Sinn, da sie die Voraussetzung erhält, es gebe außerhalb dieser Gesamtheit noch etwas. Demnach wäre die Gesamtheit der existierenden Dinge weder wichtig noch unwichtig. Da es keinen höheren Standpunkt gibt, der die Gesamtheit aller existierenden Dinge umfasst und von dem aus diese Gesamtheit als unbedeutend erscheint, ist sie ihre eigene Bedeutung und ihr eigener Sinn.  So lautet die Antwort auf die Frage  "Warum ist das gesamte Universum wichtig?": Es ist eben wichtig. Diese Antwort ist dienlich, bis wir uns immer größere Zusammenhänge ausdenken, wie den Standpunkt aller Möglichkeiten oder denjenigen einer höheren Entität, Gott genannt, die als eine ihrer weniger bedeutenden Unternehmungen das Universum erschuf.
In diesem Abschnitt haben wir einen Weg angedeutet, wie Fragen nach dem Sinn zu einem Ende gebracht werden können, nämlich durch ein sich selbst genügendes, unbegrenztes Wesen, das sein eigener Sinn ist und mit dem wir irgendwie in Verbindung stehen (etwa im Fall Gottes) oder das wir selbst sind (im Fall des wedantischen Brahmans). 
Wir haben gesehen, wie Sinn auf eine Art möglich wäre - nämlich durch die Existenz ei-nes unbegrenzten, allumfassenden Etwas, das allen Sinn begründet -, aber noch nicht diskutiert, ob er wirklich ist. 
Jeder weiß, was auf diese (sehnsuchtsvolle?) Überlegung zu erwidern ist: "Selbst wenn das Leben nur dann einen Sinn haben kann, wenn es ein unbegrenztes Wesen gibt, besteht die Möglichkeit, dass es eine solche Entität nicht gibt, das Leben folglich sinnlos ist. 
An den strengsten wissenschaftlichen Maßstäben festzuhalten, ohne sich von Hoffnungen und Sehnsüchten beeinflussen zu lassen, zeugt angesichts der Versuchung zu schummeln von unbeugsamer intellektueller Redlichkeit. Fragt sich nur, ob eine derart gewissenhafte Haltung sinnvoll ist.
 
Zu 4. G. Anders: Das Gefühl der Sinnlosigkeit als Symptom für seelische Gesundheit - "Sinn haben für" bedeutet heteronom sein, unfrei sein
 
 
 
Tausende von Psychotherapeuten, namentlich in den Vereinigten Staaten, führen die sie wegen chronisch gefühlter "Sinnleere" konsultierenden Patienten mit feierlichem Gerede in die Irre.  Sie verkünden schamloserweise, dem Leben "Sinn" verleihen zu können, statt den Patienten redlich zuzugestehen:
"Sie haben Recht, Ihr Gefühl ist legitim.  Für Sie hat das Leben, das Sie (als Arbeiter in der Nadelfabrik oder als lebenslänglicher Facelifter oder als Verkäufer von Lotterielosen) führen, auch wenn Ihre Tätigkeit für den oder jenen Menschen vielleicht von Nutzen sein sollte, auch wenn diese humanisiert wäre, in der Tat keinen Sinn. (...)
Die trivialphilosophische Umgangssprache benutzt zwar mit Vorliebe den Ausdruck "tiefer Sinn", und einen solchen tiefen Sinn soll das Leben oder die Welt angeblich haben - aber diese Rede von "Tiefe", rührt allein daher, dass die Suche nach dem Sinn, da sinnlos, vergeblich bleibt - woraufhin man immer "tiefer", gräbt. Je weniger man findet, umso tiefer muss er sein. Je schlechter, desto besser."
Nein, nicht ein pathologisches, einer Behandlung bedürfendes Symptom ist das Gefühl der "Sinnlosigkeit des Lebens", sondern angesichts des Faktums der Sinnlosigkeit ein völlig berechtigtes Gefühl, ein Zeichen von unbeschädigter Wahrheitsbereitschaft, um nicht geradezu zu sagen: ein Symptom von Gesundheit.
Sinn als Mittel; Kaffee fürs Volk: Frankl beobachtet richtig - und da spricht er aus Erfahrung -, dass in Auschwitz und Dachau diejenigen, die auf einen "Sinn" ausgerichtet gewesen wären - und damit meinte er Gläubige jeder Couleur: Christen sowohl wie Juden wie Zeugen Jehovas wie Kommunisten oder Patrioten -, am besten befähigt gewesen seien, das Grauen zu überleben. Er hätte, analog zu "Lebensmitteln", von "Überlebens-Mitteln" sprechen können.  Die Konsequenz, die Frankl aus dieser Beobachtung zieht, wenn er sie auch nicht expressis verbis so formuliert, würde lauten: Um leben und überleben zu können, sollten wir jedes Auf-einen-Sinn-Ausgerichtetsein, jedes An-einen-Sinn-Glauben bejahen und fördern.  ...
Das bedeutet: Statt Glauben an bestimmte Inhalte bejaht er den Glauben an den Glauben.  Nämlich den Glauben an dessen Überleben fördernde Leistung. ...
Nicht als -Opium fürs Volk" gelten ihm die Religionen, sondern als "Kaffee fürs Volk".
...  Aber es kommt noch schlimmer: Denn Frankl verkündet ausdrücklich, dass es (so wörtlich) "keine Situation gibt, die nicht einen Sinn hat" (was schier unbegreiflich ist nach seinem Auschwitz-Aufenthalt); und dass "Sinn nicht nur gefunden werden muss, sondern auch kann"!
Zwar betont Frankl wiederholt, dass "Sinn" nicht erfunden, sondern immer nur gefunden werden könne (und das setzt voraus, dass "Sinn" auf irgendeine Weise "da sei").
 
Opium - Religion fürs Volk
Sinn = das im Sinne Gehabte: "Was hatte Gott, als er dies oder jenes schuf oder schickte oder auch nur zuließ, im Sinne?" 
Den Mut, zusammen mit Gottes Tod auch den Tod des Sinnes zuzugestehen und zu proklamieren; den Mut, den schon Nietzsche vor hundert Jahren als das Reifezeugnis des modernen Menschen hingestellt hatte: den einzuräumen, dass wir als "Nichtgemeinte" ungesteuert durch den Ozean des Seienden treiben - den haben außer den Naturwissenschaftlern (die sich gewöhnlich nicht klarmachen, wie kühn sie da versehentlich sind, und die sich über die atheistischen Konsequenzen ihres Tuns kaum jemals expressis verbis äußern) nur ganz wenige unter uns aufgebracht.
 
Sinn = säkularisierte Rechtfertigung: "Die Sinnfrage ist die säkularisierte Version der Theodizee-Frage. Oder die getarnte Rechtfertigungsfrage des Atheisten."
 
Ohne ein "Für" ist die Rede von "Sinn" unsinnig: Einen gewissermaßen auf nichts bezogenen, "frei schwebenden Sinn"  gibt es nicht.  "Sinn haben für" immer bedeutet, heteronom sein, Mittel für einen Zweck sein, unfrei sein.  Ist es wirklich so gewiss, dass Sinn-Haben ein Ehrenprädikat und dass keinen Sinn zu haben ein Manko ist?  Läuft nicht vielleicht letztlich unsere Suche nach Sinn auf Suche nach Dienstbarkeit hinaus?
 
 
Zu 5. V. E. Frankl: Es gibt keine Lebenssituation, die wirklich sinnlos wäre - Alle negativen Seiten der menschlichen Existenz lassen Raum für Positives
 
 
Sinn ist letztlich nicht in Selbsterfüllung und Selbstverwirklichung, sondern in der Selbstüberschreitung und in der Annahme auch scheinbar sinnwidriger Lebenssituationen (von Leid, Schuld und Tod) zu haben.
 
         Die Logotherapie wird gleichsam von drei Säulen getragen:
Freiheit des Willens (= Axiom)  -  Wille zum Sinn (kein Axiom  (überprüfbar))-  Sinn des Lebens (= Axiom)                                       
Der Sinn des Lebens kann auf drei "Hauptstraßen" gefunden werden: über die Verwirklichung von schöpferischen Werten, von Erlebniswerten und von Einstellungswerten (v.a.: die Annahme von Leid, Schuld und Tod (= tragische Trias)).
 
Das Axiom der Sinnhaftigkeit des Lebens bringt die logotherapeutische Überzeugung zum Ausdruck, dass das Leben einen bedingungslosen Sinn hat und diesen auch unter gar keinen Umständen verliert.  Allerdings kann sich der Sinn des Lebens menschlichem Begreifen mitunter entziehen.  Insofern ist die Sinnhaftigkeit des Lebens eine den Menschen übergreifende, die jeweils aufs Neue erspürt und erahnt werden muss.  Daraus folgt: Die Logotherapie ist eine positive Weltanschauung.
 
Es gibt keine Lebenssituation, die wirklich sinnlos wäre.  Dies ist darauf zurückzuführen, dass die scheinbar negativen Seiten der menschlichen Existenz, insbesondere jene tragische Trias, zu der sich Leid, Schuld und Tod zusammenfügen, auch in etwas Positives, in eine Leistung gestaltet werden können, wenn ihnen nur mit der rechten Haltung und Einstellung begegnet wird.
 
Die Endlichkeit des Menschen ist vor allem gegeben in der Zeitlichkeit seiner Existenz.  Sie tritt uns in erster Linie gegenüber als Sterblichkeit.  ...  Nur angesichts der zeitlichen Endlichkeit unseres Daseins ist es möglich, mit einer Art kategorischem Imperativ die menschliche Verantwortung zu ihrer ganzen Fülle aufzurufen, wie mit dem folgenden Imperativ: Handle so, als ob du zum zweitenmal lebtest und das erstemal alles so falsch gemacht hättest, wie du im Begriff bist, es zu tun. (Frankl, 51)
 
Sinn-Wahrnehmungstraining:
Was ist jetzt am sinnvollsten?  Diese Frage gliedert sich in fünf Unterfragen:
 
1. Was ist mein Problem? 
2. Wo ist mein Freiraum?
3. Welche Wahlmöglichkeiten habe ich? 
4. Eine davon ist die Sinnvollste.
5. Die will ich verwirklichen!
 
Wer liebt das Leben?
Wer einzig das angenehme Leben liebt, der muss das Leben fürchten.  Denn der steht in der ständigen Bedrohtheit des Angenehmen, das sich jederzeit in Unangenehmes verwandeln kann.
Wer Angst vor Krankheit und Tod hat, der liebt das Leben nicht.  Er liebt nur dessen angenehmen Teil und verrät das Leben, sobald andere Teile zu Tage treten.  Wer hingegen das Leben - oder einen Menschen - wirklich liebt, der bleibt ihm treu, ob es angenehm oder unangenehm ist.  Der steht es durch, und sein Lohn ist - Angstfreiheit.
 
 
Zu 6. J. O'Donohue: Die Zugehörigkeit schützt uns vor der inneren Unendlichkeit, die jeder in sich trägt.
 
Glück und Zugehörigkeit (John O'Donohue)
- zitiert in Publik Forum 1/03 von Doris Weber
Die Gewissheit um unsere Zugehörigkeit gibt unserem Leben ein natürliches Gleichgewicht, "denn die Zugehörigkeit schützt uns vor der inneren Unendlichkeit, die jeder in sich trägt", schreibt der Philosoph: "Im Zugehören haben wir eine äußere Verankerung, die uns davor bewahrt, in uns hinabzustürzen." Das menschliche Herz ist zutiefst verletzt, wenn es sich ausgeschlossen fühlt. Jeder sehnt sich nach Intimität, träumt von einem Nest, in dem er geborgen ist, erkannt und geliebt wird.  Niemand ist für die Isolation geschaffen. 
Die ausgestoßene, ausgegrenzte Seele nimmt schweren Schaden, Angst und Negativität verdrängen die Gaben der Gelassenheit: Güte, Gerechtigkeit, Wahrheit, Liebe und Schönheit.  Darum wird alles, was die Welt zu bieten hat, Ansehen, Erfolg und Besitz sinnlos und leer ohne das Gefühl der Zugehörigkeit.  Sie ist das Fundament, auf dem das Lebenshaus erbaut wird, der Boden, in dem der Baum seine Wurzeln treibt, das Meer, in dem das Schiff vor Anker geht, damit es von den Sturmwinden nicht in die Irre getrieben wird.  Gelassenheit wächst aus dem Gefühl der Gewissheit, dazugehören zu dürfen, zur Natur, zur Welt, zu der Gemeinschaft der Menschen.
"So wie der Ozean immer wieder zum selben Ufer zurückkehrt", sagt John 0'Donohue, "schenkt uns ein Gefühl der Zugehörigkeit die innere Freiheit, dem Rhythmus von Verlust und Sehnsucht rückhaltlos zu vertrauen; es behütet uns vor der Einsamkeit des Lebens."
Gelassenheit ist Vertrauen in das Leben. John 0'Donohue nennt das Glück: "Wenn wir glücklich sind, sind wir zufrieden, und wir haben vor allem das Gefühl, dazuzugehören.  Und dieses Glück ist nicht zu produzieren, es ist nicht eine Leistung des ständigen Handelns und Tuns, es ist auch nicht reiner Zufall, es ist eine Art Kunst zwischen dir und deiner Erfahrung, die den verborgenen See der Stille, die in uns ist, erleben lässt.  Beten, Liebe, Freundschaft, Kreativität zielen darauf hin, diesen Ort so häufig wie möglich zu besuchen, so dass jeder Mensch alles in sich hat, was er für die Reise braucht."
 
Ergänzungen / Vertiefungen:
 
7. Es muss im Leben mehr als alles geben
"There must be more to life" von Maurice Sendak
 
Einst hatte Jennie alles. Sie schlief auf einem runden Kissen im oberen und auf einem viereckigen Kissen im unteren Stockwerk. Sie hatte einen eigenen Kamm, eine Bürste, zwei verschiedene Pillenfläschchen, Augentropfen, Ohrentropfen, ein Thermometer und einen roten Wollpullover für kaltes Wetter.  Sie hatte zwei Fenster zum Hinausschauen und zwei Schüsseln für ihr Futter. Und sie hatte einen Herrn, der sie liebte.
 
8. Franz W. Niehl: Ist es ein Glück, sich zu verlieren?       
                      
Von der Last der Absicht: Poetisch gesagt: Das Glück ist ein Kind der Freiheit und ein Ertrag der Gelassenheit. Es stellt sich ein im absichtslosen Tun und im Genießen, nicht aber in der strategisch geplanten und verkrampften Zweckhaftigkeit.
Auch hier können wir an eine alte Weisheitstradition erinnern. Insbesondere die daoistische Schule weiß vom Glück der Absichtslosigkeit. Das Leerwerden, das Nichtanhaften an den Dingen, erweist sich als Quelle innerer Freiheit; es stiftet Sicherheit und Erlebnisfähigkeit. 
Meister Eckart schreibt: Aus diesem innersten Grunde sollst du alle deine Werke wirken ohne Warum.  Ich sage fürwahr: Solange du deine Werke wirkst um des Himmelreiches oder um Gottes oder um deiner ewigen Seligkeit willen, also von außen her, so ist es wahrlich nicht recht um dich bestellt. Wer das Leben fragte tausend Jahre lang: "Warum lebst du?" - könnte es antworten, es spräche nichts anderes als: "Ich lebe darum, dass ich lebe." Das kommt daher, weil das Leben aus seinem eigenen Grunde lebt und aus seinem Eigenen quillt; darum lebt es ohne Warum eben darin, dass es (für) sich selbst lebt.
 
Abspülen, um abzuspülen:
"Es gibt zwei Arten, Geschirr zu spülen.  Einmal, um hinterher sauberes Geschirr zu haben, und die zweite Art besteht darin, abzuwaschen, um abzuwaschen."
 
Gratis und umsonst -
     Vom wahren Sinn des "Festes der Geschenke"  Von Wilhelm Höck
 
Von den alten Griechen bis Nietzsche galt es als ausgemacht, dass die humane Form des Existierens die spielende ist, die, getragen von Phantasie, ihren genauesten Ausdruck im Kunstwerk hat, das keine Zwecke verfolgt, sondern, nach einem Wort Eduard Mörikes, "selig in ihm selbst" ist. Seine Daseinssphäre ist das "Umsonst" und an dieses Umsonst sind Freiheit und Menschlichkeit geknüpft. Der Mensch sei nur da "ganz Mensch", nämlich frei, "wo er spielt", stellte Friedrich Schiller fest, und Spiel und Anmut, Liebenswürdigkeit, Grazie, Gratia hängen eng zusammen. Wo Zwecke verfolgt werden, ziehen sie sich zurück.
Übrigens auch das, was man Liebe nennt: Sie kommt nur im Umsonst vor. Vor allem im Absehen vom Ich mit seinen Bedürfnissen, Zielen, Zwecken. Wer etwas erreichen will, liebt schon nicht mehr. Wer sich in einer Beziehung durchsetzen will, hat die Beziehung schon ruiniert. Wer sich wichtig nimmt, die Erfüllung seiner Bedürfnisse wichtig nimmt, hat das Umsonst des Geschenks, der Anmut, der Grazie verfehlt. Und eben die Liebe, die das große Spiel ist, das den Menschen zum Menschen macht.
Und wer Erleuchtung anstrebt, etwa durch Meditation, wird keine Erleuchtung erfahren. Diese Lehre ist vornehmlich dem Buddhismus zu entnehmen. Das einzige "Um zu", das die Meditation nicht zunichte macht, ist dies: Einer meditiert, um zu meditieren. Und wenn er weit gekommen ist, meditiert er nur noch: umsonst. In einer Meditationshilfe des Zen-Buddhismus kann man dies lesen: "So sein, wie man ist, heißt handeln, ohne daran zu denken, Profit zu erzielen oder etwas zu erhalten, ohne Hintergedanken an einen Gewinn, so wie die Nase die Nase ist, die Augen die Augen sind, der Mund der Mund ist, der Nabel der Nabel ist.
Man weiß nicht, was nach dem Tod sein wird, aber wenn man in die Hölle kommen soll, wo wird man dann, ist man einmal dort, sich wohl fühlen. Für einen Geist, der in Frieden ist, gibt es keinen schlechten Ort. Weil man Angst vor der Hölle hat, deshalb will man ins Paradies kommen. Aber was weiß man über Paradies und die Hölle?
Es ist interessant, sich und seine Gedanken mit dem Blick des Bergs zu betrachten. Der Berg sagt nicht zu mir: ‚He du, Sawaki, du bist toll', er bewundert mich nicht. Wozu ist Zazen nütze? Die ewige Frage, auf die ich immer antworte: ‚Zazen ist zu nichts nütze.' Selbst wenn die Leute nicht wiederkommen, so ist das nicht wichtig.
Nichts suchen. Der Dichter Franz Kafka hat die Frage des Verzichts auf Zwecke, die Frage des Umsonst so formuliert: "Wer sucht, findet nicht. Aber wer nicht sucht, wird gefunden." Anders gesagt: Wer keine Zwecke verfolgt, ist einfach da, ist auffindbar, erkennbar - für Gott, wenn man so will, für die Menschen, für die Welt.  Das Sinnvolle ist nicht das Zweckvolle. Und wenn einer da ist, ist alles da - wie unbeabsichtigt.
 
 
9. Der Glaube ist die Erkenntnis des Sinns des Lebens (Tolstoi)
 
Aus "Tolstoi: Meine Beichte"
Ich fürchtete das Leben, strebte von ihm fort und erhoffte bei alledem noch etwas von ihm. - Und das geschah mir zu einer Zeit, in der mir von allen Seiten das geworden war, was man ein vollkommenes Glück nennt. ...  Dieser Seelenzustand drückte sich für mich so aus: Dieses Leben ist nichts als ein dummer, böser Spaß, den sich jemand mit mir erlaubt. ... Es ist grausam und dumm.
So wurde ich zwingend dahin gebracht anzuerkennen, dass neben der vernünftigen Erkenntnis, die mir bis dahin als die einzige galt, die Menschheit noch eine andere vernunftlose Erkenntnis hat - den Glauben, der die Möglichkeit gibt zu leben.
(Es ist nicht der Glaube an Offenbarungen, an Lehrsätze, auch nicht der Glaube an Gott) - Der Glaube ist die Erkenntnis des Sinnes des menschlichen Leben, kraft dessen der Mensch sich nicht vernichtet, sondern lebt.
Der Glaube ist die Kraft des Lebens.
 
 
 
 
10. Leitfaden für die Interpretation:
 
Das Sinnproblem kann verstanden werden mit Hilfe der Formel:  Die Gewissheit um unsere Zugehörigkeit gibt unserem Leben ein natürliches Gleichgewicht, denn die Zugehörigkeit schützt uns vor der inneren Unendlichkeit, die jeder in sich trägt (J. O'Donohue).
Die innere Unendlichkeit: Das Unbegrenzte als Endpunkt aller Fragen (R. Nozick) - Der Mensch "braucht" einen unendlichen Bezugspunkt, wenn er sich nicht verlieren will, auch wenn das Leben noch so positiv verläuft (vgl. Tolstoi;  vgl. Jenny).  Er braucht diesen Bezug auch denkerisch: Ohne Gesamtsinn ist auch der Einzelsinn leer. Und als "Gegenpol" braucht er auch die vielfältigen Lebensbezüge: die "Zugehörigkeit"!
 
Zur Einordnung einzelner Aussagen:
 
Frankl: Es gibt keine Lebenssituation, die wirklich sinnlos wäre - Alle negativen Seiten der menschlichen Existenz lassen Raum für Positives.
Dies kann Frankl natürlich nicht "wissen". Er nimmt es nur an, er hofft es auf Grund seiner eigenen Überzeugung und Erfahrung. Wenn der Klient sich von der "Gewissheit" seines Therapeuten "anstecken" lässt, kann es ihm helfen, bestimmte schwierige Lebenssituationen zu bewältigen. Der Therapeut ist nach Frankl in dieser Frage ein "Zeuge"; er legt also "nur" Zeugnis ab. Die Überzeugung, dass das Leben einen Sinn hat, hat nach Frankl den Rang eines Axioms.
 
Meister Eckart: Du sollst alle deine Werke wirken ohne Warum.  Wer das Leben fragte tausend Jahre lang: "Warum lebst du?" - es spräche nichts anderes als: "Ich lebe darum, dass ich lebe.
Dies ist keine Aussage darüber, wie das Leben wirklich "ist" (- grundlos? - sinnlos?), sondern in der Aussage über ein "Sein" versteckt sich eine Aussage über ein "Sollen": Du sollst dich an nichts Irdisches hängen; du sollst deinem Leben (im ganzen) keine endlichen Ziele geben ...
 
Der "Sinn" solcher paränetischer / psychagogischer Aussagen: Der "unendliche" Pol menschlicher Existenz soll von endlichen "Anhaftungen" befreit werden, soll zu seiner eigenen Klarheit finden. Dazu bedarf es (phasenweise) einer Loslösung, einen Rückzug auf den unendlichen Punkt unserer Existenz. Wobei dann in einer nächsten Phase neue Bezüge, neue Zugehörigkeit gesucht werden können.
 
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